Detmold: Für die Verhandlung am Montag, 21. Mai 2012 im Landgericht Detmold von 9 – 15 Uhr (2 Pausen) war die Strafkammer 1 zuständig: Große Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer unter dem Vorsitzenden Richter am LG Reineke mit den Richterinnen Tegethoff-Drabe und Grudda (plus 2 Schöffen), Aktenzeichen (gemäß dem Aushang an der Tür) 4 KLs6Js145/11 – 23/12.
Neufeld wurde ohne Handschellen in den Gerichtssaal geführt und konnte sich auch ausführlich äußern. Er erfand schnell noch eine Investoren-Gruppe in Hamburg, mit der sein Bevollmächtigter, Alexej Lorenz (Hagen?), hätte verhandeln sollen. Lorenz war für 15 Euro Stundenlohn als Verkäufer für die Neufeld GmbH tätig gewesen. Aber der Kripobeamte Rosenboom kannte den Lorenz als sehr jungen, instabilen, dem Alkohol zugeneigten Menschen, den er habe an die Hand nehmen müssen und der keineswegs über Dutzende Millionen Euro hätte verhandeln können. Interessanterweise war Heinrich Löwen (!!!), der mennonitische oder evangelikale Theologe, im Saal. Der, so sagte Rosenboom, sei zusammen mit Lorenz nach Paraguay gereist und beide hätten etwa einen Monat dort, und vor allem in der Kolonie Neufeld, verbracht. (Wann, blieb unklar, jedenfalls irgendwann vor der Verhaftung von Nikolai Neufeld.)
Der Wirtschaftsreferent der Staatsanwaltschaft Bielefeld, Herr Nordmann, befasste sich in einem halbstündigen Vortrag mit den Fehlern der Neufeld GmbH. 600 Euro habe Neufeld pro Hektar Land gezahlt und es für 2400 Euro an die Investoren verkauft. Über die Verwendung der nach Paraguay überwiesenen Gelder gebe es keine Zahlen, Paraguay sei „eine Black Box“. (Nikolai hatte mir beim Besuch im Untersuchungsgefängnis erzählt, dass er mindestens zweimal mit Geldkoffern hingefahren sei). Gewinne aus Paraguay habe es in den 7 Jahren der Existenz der Kolonie Neufeld nie gegeben. Ein Laden in Asuncion, der geerntetes Gemüse habe verkaufen sollen, habe aus Mangel an Nachschub gleich wieder geschlossen werden müssen. Die Siedler hätten sich nicht einmal selbst von den Früchten ihrer Arbeit ernähren können. „Über den Daumen: Es sind netto 37 Mio. Euro investiert worden, rund 5 Mio. an Provision gingen an die Neufeld GmbH, bleibt Rest 32 Millionen, rund 8 Mio. Dividende, Rest 24 Mio., davon 22 Mio. im Lauf der Jahre nach Paraguay überwiesen, auch für Grundstückskauf.“ – „Es ist, nach den Unterlagen, nicht ein Cent aus Paraguay zurückgeflossen.“ – „Man hätte sofort nach dem Kauf jedes Stück Land intensiv wirtschaftlich nutzen müssen – aussichtslos, so etwas zu bewerkstelligen.“ – „Sofort Dividende zu zahlen – das war der Todesstoß für eine Wirtschaftlichkeit.“ Nikolai Neufeld habe unter anderem den Wert des Baumbestands mit 1,5 Milliarden Euro behauptet! Vorsitzender Reineke: „Das sind richtige Mondzahlen!“ – Laut Investitionsplan sollte 2011 ein Gewinn von 61 Mio. Euro erwirtschaftet werden. Statt dessen wurde Nikolai Neufeld im November 2011 verhaftet und ein Insolvenzverwalter eingesetzt, der von 20 000 Geschädigten und 60 Millionen Euro Schaden sprach.
Einer von den beiden namens Löwen, so hatte mir Nikolai in der U-Haft erzählt, habe ihm die Adressenlisten geklaut, also sie fotokopiert, und dann mit Flugblättern oder Rundbriefen an Anleger gegen ihn, Neufeld, Stimmung gemacht, weil er ja der alleinige Eigentümer der Grundstücke (laut Staatsanwaltschaft 26 000 Hektar) gewesen sei. Aber zum Kauf auf seinen Namen habe ihm die Alicia Neufeld geraten und es sei am Anfang auch nicht anders möglich gewesen, weil die Genossenschaft ja nicht von Anfang an gegründet worden war, sondern erst später, nach dem Kauf. Die Alicia habe von Anfang an geplant, ihn in den Knast zu bringen, davon war Neufeld überzeugt. – Nach meinem Augenschein – ich hab mich in der Pause zu Heinrich Löwen und einigen älteren Leuten gestellt, die er offenbar vertritt, und zwar, wie er sagte, indem er mit paraguayischen Rechtsanwälten (einer heiße Enns oder Enz) für einen Teil der Anleger (Mennoniten?) Prozesse führt. Nein, die Unterschrift auf der Kopie der Grundstückszeichnung sei nicht von ihm (ich hatte ihm erzählt, was ich zur Vorgeschichte, Straßenbau etc. wusste, und hielt ihm dann die Fotokopie vor die Nase). Wenig später schrieb er mir auf meinen Wunsch seine Telefonnummer auf ( 0521 – 39 04 94 ) mit seinem Namen: H. Löwen – die Ähnlichkeit zur Unterschrift auf dem Dokument mit der Angabe von Josef Reichert war auffallend. Er hatte behauptet, er habe es noch nie gesehen. Er bestritt mir gegenüber zu Beginn des Gesprächs ein Interesse von Mennoniten an dem Gelände der Kolonie.
Im Internet sind alle Spuren von ihm sorgsam getilgt, ebenso bei den anderen nach Deutschland zurückgekehrten Siedlern, die mit zwei Ausnahmen nicht bereit waren, irgendetwas über die Kolonie und das Leben dort zu sagen. Einer, der Elektriker Egor aus Moskau, sagte als Zeuge während der Verhandlung aus. Einmal im Monat sei ein Geldtransport aus Asunción gekommen, er habe 600 Euro im Monat verdient und die 12,5% Jahresrendite für seine 12 Hektar Land zu 2400 Euro Kaufpreis je Hektar, also 3600 Euro Jahresrendite oder 400 Euro im Monat.
Der Vorsitzende Herr Reineke schlug Nikolai Neufeld vor, auf 4 000 Hektar Grundstück zu verzichten, zugunsten der betrogenen Anleger. Das war aber nicht möglich (Embargo der RA Alice Neufeld, Übereignung des Geländes für 1 Euro durch Johannes Neufeld an Nikolai Neufeld im Sommer 2011, und: Einverständnis des Konkursverwalters wäre nötig). Der symbolische Preis, den er seinem (vor der Polizei geflohenen) Bruder gezahlt habe, habe ein Signal sein sollen, dass das Land den Siedlern gehören solle, sagte Nikolai Neufeld. Es hätten nicht viele der 1042 Anleger eigene Grundstückstitel verlangt. Zwar wurde Land verkauft, um aufgelaufene Schulden zu bezahlen, doch sei dies Land aus Nikolai Neufelds persönlichem Eigentum gewesen (!?!). Neufeld versprach aber: „Ich möchte alles tun, damit die Anleger ihr Land bekommen können.“
„Sie haben an das Projekt geglaubt“, meinte der Vorsitzende. Nikolai Neufeld bestätigte das und bestätigte auch, dass er wirtschaftlich ruiniert sei: „Ich stehe vor dem Nichts“.
Den Staatsanwalt Stindt (LG Bielefeld) beeindruckte das wenig: „Eine Täuschung, die einem den Atem verschlägt … Er ist ein Schlitzohr, so kommt er auch rüber … Ein klassischer Betrüger“. Aber Stindt bemerkt auch: „Geld oder Statussymbole waren keine Triebkraft für ihn. Er hat an sein Projekt geglaubt – aber andererseits auch nicht.“ Und: „1042 mal haben Sie in betrügerischer Absicht gehandelt und 14 Millionen Euro Schaden angerichtet.“ – Er habe, fügt Richter Reineke hinzu, einen tiefen Einblick in die Träume der russlanddeutschen Anleger bekommen.
Nach längerer Beratung verkündet der Vorsitzende Richter Reineke: 5 Jahre Freiheitsstrafe für Nikolai Neufeld.